Am ersten Tag jedes Monats kommt ein rosa Wagen aus der Wüste und hält vor unserer Stadt. Er kommt nicht immer zur selben Zeit; einmal kam er erst kurz vor Mitternacht, doch jedes Mal steht er da, und durch seine Windschutzscheibe starrt ein Mann mit grünen Haaren.
Jedes Mal lasse ich das Tor öffnen, das die Lebensfreude unserer Stadt von der Leere der Wüste trennt, und entsende meinen Boten. Mein Bote eilt hinaus und senkt den Kopf zur geöffneten Seitenscheibe des rosa Wagens. Der Mann mit grünen Haaren flüstert einen Namen, immer einen weiblichen, und sobald der Bote ihn notiert hat, kehrt er zu mir zurück. Sogleich schicke ich meine stets treuen Diener auf die Suche nach jener Frau, die auf den geflüsterten Namen hört. Weinend und schreiend und schlagend und tretend wehrt sich die Frau, manchmal ist es auch ein junges Mädchen, doch vergeblich. Sie wird den Armen ihrer Mutter, ihres Mannes oder ihres Kindes entrissen und vor das Tor gebracht. Mit Gier in den Augen beobachtet der Mann mit grünen Haaren, wie sie in den Kofferraum seines rosa Wagens gelegt wird. Die Heckklappe schließt wie ein Kiefer, und ohne ein weiteres Wort zu sagen, verschwindet er mit ihr in der Wüste.
Den restlichen Monat wird er uns verschonen, doch wenn wir ihm einmal eine Frau verwehren, würde er im darauffolgenden Monat mit einer Armee zurückkehren und unsere Stadt verwüsten. So habe ich dieses Geschäft vor meinen Bürgerinnen und Bürgern gerechtfertigt. Immer habe ich vorgehabt, mich daran zu halten – bis heute der Mann mit grünen Haaren einen Namen flüsterte, den ich selbst schon unzählige Male geflüstert und gesprochen und gerufen und geschrien hatte: den Namen meiner Liebe, Marie.
„macht auf das tor, macht auf das tor,
es kommt ein rosa wagen,
wer sitzt darin? wer sitzt darin?
ein mann mit grünen haaren.
was will er denn? was will er denn?
er will mariechen holen.
weshalb denn nur? weshalb denn nur?
ihr blut das ist so süße.
wie heißt er denn? wie heißt er denn?
er nennt uns keinen namen.
was mag er denn? was mag er denn?
er speist so gerne damen.
so gebt sie ihm, so gebt sie ihm,
wir wolln ihn nicht erzürnen,
ich seh’s in seinen augen stehn,
der frißt uns sonst wie birnen!“
H. C. Artmann